Schnipo Schranke – Satt
Jemand hat die beiden mal „die Thelma and Louise der Generation Vice“ genannt. Na ja, eigentlich kam das jetzt von mir, um besser in die Rezension zu kommen. Satt startet schon mit den beiden Openern als Versprechen auf eine Hörspielcassette mit Musik und den lustigen Abenteuern von Fritzi und Daniela. Ein bisschen tollpatschig, ein bisschen unglücklich verliebt, aber immer wird mit offenen Augen durch die seltsame und fremde Welt gestolpert. Und was sie alles erleben! Vom verrückten Lover in einen Schrank eingesperrt werden, Sperma trinken, sich nicht von den Typen unterkriegen lassen, die sich nicht in die beiden verlieben wollen und zum Schluß gehts mit dem Dampfer nach Panama. Die beiden haben im wahren Leben klassische Musik studiert, deshalb oder trotzdem ist die Musik zu ihren Geschichten poppig, schunkelig und schlagertoll. Schönste deutschsprachige Platte des dreiviertel Jahres. Und schalten Sie auch nächste Woche wieder ein, wenn es wieder heißt “Hanni und Nanni im Swingerclub”.
New Order – Music Complete
New Order hatten ein großes Problem. Bassist Peter Cook leitender Angestellter für den Corporate Sound von New Order hatte die Band 2007 verlassen. New Order haben eine großartige Lösung gefunden: Keyboarderin Gillian Gilbert ihrerseits CEO für die Keyboarad/ Synthie/ Disco- Unit, die 1982 den Blue-Monday Groove entwickelte, ist wieder an Bord. Plastic steht deshalb ganz nah am acid-house inspirierten 1989er Album Technique. News Order Alben sind seit Power, Corruption & Lies immer Platten mit guten und auch mal weniger zwingenden Tracks und mal mehr oder mal weniger Elektronik bzw. Gitarren. In diesem geschlossenen Universum ist “Plastic” ein Album mit sehr guten Songwriting und vieeeeeel Disco. Selbst Italo-Disco Albernheiten wie “Tutti Frutti” kriegen charmant die Kurve. Ich würde sagen ca. 3 bestes New Order Album aller Zeiten. Peter Savilles Mondrian-Fachwerkhaus-Hybrid Hülle setze ich gern auf die No. 1. aller New Order Plattencover
Fehlfarben – Über…Menschen
Beim ersten Hören, denke und hoffe ich, dass Übermenschen das “Monarchie und Alltags” der 10er Jahre wird. Älter werden mit der Musik der Fehlfarben und den Texten von Peter Hein, das wäre nicht die schlechteste Option, nachdem “Monarchie…” mich bereits durch die ersten Hälfte der 80er gebracht hat. “So hatten wir uns das nicht vorgestellt” kommt mit rheinischer Schunkeligkeit daher und löst das Versprechen frühzeitig ein (Mit einem schönen Selbstzitat zum “Testbild”). “Rein oder Raus” ist eine Bestandsaufnahme von Deutschland 2015. “Viele müssen hier rein, wir wollen raus”. Obwohl sich die Zeile lt. Peter Hein auf eine volle U-Bahn bezieht, passt sie wie keine andere. Sowas nennt man Songs als Reflexionsfläche. Auf der anderen Seite sind mir Tracks wie “Der Dinge Stand” doch zu altmännerbräsig und die Relax-Hyme “Wir allein” könnte thematisch auch von Helene Fischer stammen. Ich habe bei den Fehlfarben-Platten immer das Gefühl, die müssten sich mehr anstrengen und könnten dann nochmal eine Megading raushauen. Auch Über..menschen erfüllt meine Erwartungshaltung in seiner Nöligkeit nicht wirklich. Und genau dafür liebe diese Band in den Zeiten der Selbstoptimierung. Alle anderen dürfen gern Wanda hören. P.S. Ich habe das dringende Bedürfnis ihren Slogan “Davon geht die Welt nicht unter, dass wir sie zerstören” auf eine Betonmauer zu sprühen. Was? Ach so, die 80er Jahre sind ja vorbei.
Wanda – Bussi
Beim Hören der Platte kommt mir jedes Stück so vor, als kenne ich es schon lange. Vielleicht von der ersten Platte? Aber bereits die kam mir so furchtbar bekannt vor als hätte ich sie schon 2003 gehört. Bussi ist hochgezüchtete Independent-Funktionsmusik für den Mosh-Pit Nachmittag beim Southside/Hurrican Festival. Wohlgemerkt in Premiumqualität, wohlgemerkt für alle die aus den Schuhen von Milkey Chance und Jennifer Rostock rausgewachsen sind, wohlgemerkt für alle die im Herbstsemester 2015 ihr Informatikstudium begonnen haben und lieber zuhause wohnen bleiben. Mit der Breitwandproduktion dieser Platte kämen Wanda im Cafe Limba wahrscheinlich nicht mehr durch die schmale Tür.
Julia Holter – Have You In My Wilderness
Wenn die Platte ein Kleidungsstück wäre, wäre sie ein verwaschenes Kate Bush T-Shirt. Plattencover und Musik sind immer noch wie bei den Vorgängeralben ein wenig verhuschelt aber Julia Holter ist nicht mehr die Zahnfee aus dem Schneewitchenland. Die Songs sind durchscheinend aber strukturierter. “Everytime Boots” ein richtiger kleiner Ohrwurm. Traut euch einfach mal sie beim Yogi-Tee und Kastanienmännchen basteln im zu hören.
Die Nerven – Out
Die Nerven wissen es. Plaste weiß es schon viel länger. Eine authentische, gesunde Wut im Bauch holt man sich nur in der Provinz. Out ist es ein glassplittrig, scharfkantiges Album ohne artifiziellen Scheiß und Überbau, den sich die Band in Berlin oder Hamburg hätte antrainieren müssen. Mit den Songs, die von ihrem extremen Spannungsgefälle leben, sind Die Nerven heute da wo Sonic Youth 1987 mit Evol standen, also kurz vor dem ganz großen Ding. Passend dazu wird die Band parallel als Authentizitätsexot durchs gelangweilte Feuilleton geschleift. Das gleiche passierte ja Trümmer letztes Jahr. Egal, liebe Nerven wenn ihr mal das Gefühl habt, dass euch der Wut-Akku ausgeht, dann kommt immer gern nach Villingen-Schwenningen in schwäbische Heart of Darkness, zum Aufladen.
Deafhaven – New Bermuda
Diese Platte hat Ozzy Ossbourne, während eines Albtraums nach dem Genuss von 500g Straßburger Wurstsalat, bereits 1968 geträumt. Metalmusic, gedacht als wüster lodernder Flächenbrand, der damit endet, dass irgendwann sogar Schwiegermutterschwarm Scott Walker ein Droneplatte aufnimmt. Schweißgebadet wachte Ozzy dazumals auf und beschloss nie wieder Wurstsalat zu essen und es stattdessen mit Alkohol und Drogen zu versuchen. Außerdem wollte er mal was mit Musik auszuprobieren.
Reissue des Herbsts – 100% Dynamite – Various Artists
Anfang der 90 Jahre sicherte sich Soul Jazz Records die Rechte an Clement ‘Coxsone’ Dodds Studio One Label, gern auch das “Motown des Reggae” genannt. Nach der Unabhängigkeit von Jamaica waren die Soundsystems das identitässchaffende Sprachrohr der schwarzen Bevölkerung auf der Insel. Wobei sich die Anhänger der Studio One und Trojan Systems teilweise regelrechte Straßenschlachten lieferten (Sehr schön nachzulesen in Bass Culture von Llyod Bradley). Beim Studio One Label waren alle späteren Granden des Reggae versammelt: Lee Perry, Horace Andy, Bob Marley und das Ska-Idol Jackie Mitto. 100% Dynamite wurde erstmals 1998 veröffentlicht, liegt nun remasterd und expanded vor und ist sowas wie das Best Of von Studio One. All Killers – no Fillers, und eine schöne Alternative zur sündhaft teuren Bob Marley Box von der man eh schon alles vom SWR1 Formatradio kennt.
Die Kritik zur oben abgebildeten Kamasi Washington Platte finder Ihr hier.