Zum Platten kaufen, fuhren wir in den 80ern gern nach Zürich. Im Jamarico Record Store waren alle Neuerscheinungen fein säuberlich aufgereiht. Importiert mit harten Franken und Taschengeldkiller per Excellence. Ein Kumpel, nennen wir ihn der einfachheit halber mal Tomas* (*Name von Plaste geändert), rief beispielsweise vor dem Laden, “Schaut mal da hinten läuft Dieter Meyer (von Yello, der sein Studio in Zürich hatte)” während sich die anderen mit großen Augen umsahen, rannte er in den Laden und deckte mit seinem breiten Rücken gleich drei Plattenkisten ab.
Flink glitt das Vinyl durch seine Hände, angetrieben von einen Adrenalinschub, hervorgerufen durch den bevorstehenden Exclusiverwerb. Plattenkauf war Überlebenskampf, von der Evolution geprägt, ein letztes Revier für umgesetzte Männlichkeit im postindustriellen Zeitalter – Jagen und Sammeln, Sammeln und Jagen.
Alternativ dazu konnten wir natürlich auch Platten in unserem örtlichen Plattenladen Nastrovje Potsdam bestellen. Die kamen auch. Meistens nach 4-6 Wochen. Die Scheiben wurden fein säuberlich zur Seite gestellt und irgendjemand kaufte sie. Wer Glück hatte konnte sogar seine eigenen Bestellungen erwerben. Wenn man Pech hatte, war Tomas* vorher da! Er nahm regelmäßig Mixtapes von seinen aktuellen Plattenkäufen auf und spielte sie uns im Auto vor, nicht ohne sie ausführlich zu kommentieren und anzumoderieren. Highlights wurden auch gern mal etwas lauter gespielt und um den Effekt noch etwas zu erhöhen, nahm er dazu den Fuß vom Gas.
Mein Tochter hat mir kürzlich davon vorgeschwärmt, wie klasse das sei bei Spotify alle Hits schon zu hören, bevor sie im Radio laufen, dafür gibt es dort mindestens 8 Chart Playlists. Deutschland, Global, Viral, Sachsen-Anhalt, alle mit gefühlt den gleichen Songs. Ha ha – so sind halt die Teenies – höre ich euch lachen.
Aber jetzt müsst ihr wirklich stark sein, liebe Plattenfreunde, Rotweintrinker und Conaisseure. Apple Music bietet inzwischen Playlists von der Qualität “Die Wurzeln des Industrial” oder “Hüsker Dü für Kenner” an. Wie wäre es mit einem liebevoll zusammengestellten Best-Of des stilbildenden SST-Labels, oder zerhackter Electronic Alpträume auf “Autechre – Essentials”. Die Playlist sind erstellt von Musik-Nerds, verkrachten Fanzine-Schreibern oder erfolglosen Bloggern (räusper) die davon träumen mal für Pitchfork zu schreiben. Und sie sind deshalb l.e.i.d.e.r. gut.
Wer heute 18 ist und merkt, dass er nicht wie seine normalen Freunde den BWL-Bachelor anstrebt, sondern sein Coming-Out als Musik-Nerd feiert, hat es mit den kuratierten Playlists so gut wie nie. Die Generation Teletubie bekommt die beste Musik der Welt nicht nur als Instant-Brei sondern sogar komplett vorgekaut und in den Mund geschoben. Der digitale Expediteuer kann sich strukturiert und systematisch von oben nach unten hören. Beispiel: Er erfährt z.B. von seinem großen Bruder oder vom Internet ,das “Alternative” cool ist und findet erstmal einen ganzen Riemen mit Playlists. Wer nun nicht bei Coldplay-Essentials “ab in die Joggingschuhe” oder “Akustik Brunch” hängenbleibt hat gute Chancen dort auf ein liebevoll kuratierte Playlists mit den Essentials von Bon Iver zu landen und von dort über James Blake, Jamie XX zur Brainfeeder Gang zu gelangen. Und bis Du da durch bist, haste genug zu knabbern. Einstieg ist jedoch auch über Jahres Best-of Listen möglich in verschiedenen Genre möglich. Oder Alternative Radio. Oder Alternative Press. Oder oder oder…
All das kann ich tun, ohne je über eine Band gelesen oder sie gesehen zu haben. Aber auch das ist im Grunde genommen kein Problem. Um mal beim Beispiel „Alternative“ zu bleiben, kann ich mir auch einem Festival wie Southside oder Hurricane per Flatrate alle aktuellen Bands innerhalb von 4 Tagen live anschauen, wenn auch auch 2 Kilometer Entfernung. Aber ihr seid ja jung und habt gute Augen. Wem das zu stressig ist, kann sich immer noch stattdessen auch in vollster Gemütlichkeit die Lampe begiessen und dann nackig Bungee springen. Die Playlist mit dem Best of der verpassten Bands, steht selbstredend trotz Vollkater auf der Heimfahrt wiederum beim Spotify zum Abruf.
Die Digitalisierung hat beim Film mit den HBO-Serien eine völlig neue Erzählform hervorgebracht. Begünstigt durch die hochauflösende HD-Technologie und Video-on-Demand, sind Geschichten nicht mehr an das 90 Minuten Format gebunden, können Charaktere und Storys geduldig entwickelt werden. In der Musik hat die digitale Revolution nur zur gleichzeitigen Verfügbarkeit von 20 Mio Titeln auf den Streamingportalen geführt. Digitale Alben sind noch genau so lang wie Vinylplatten. 50 Minuten, 12 Songs oder so. Bei sehr großzügiger Betrachtung erlebte die Popwelt mit Dubstep Anfang der 2000er den letzten innovationen Schub, danach ging es in der Musik nur noch um Archivierung, Digitalisierung und Streaming des Status Quo.
Was will ich jetzt damit sagen? Mir ist langweilig will ich sagen! Ich habe ehrlich gesagt auch keinen Bock in Second Hand Vinyl Läden nach der zweiten Gang of Four oder “irgendwas” mit Soul zu suchen. Ich habe keinen Bock auf die neue Platte der 137. Joy Division Adeptenband zu warten. Und werde einen Teufel tun mir aus lauter angeödetsein Platten nach nur nach Cover zu kaufen um einen Tüte mit Vinyl durch die Stadt zu schleifen.
Ich will neue Musik ich will rotzige, lümmelige Typen, die alles bisher dagewesene auf auf den Müllhaufen der Geschichte schmeißen und irgendwas machen, dass ich nicht nicht mal verstehe, weil ich zu alt dazu bin.
Hört mich jemand?
Ne egal, dann geh ich halt wieder im mein Gewächshaus und gieße meine Playlists.
Der Beitrag Streaming Kills the Vinylstar! Na Und? erschien zuerst auf Plaste.