Nick Cave – Skeleton Tree
Die Songs waren schon geschrieben und die Dokumentation von Andrew Dominik über den Entstehungsprozess der Platte geplant, als das Unglück geschah und Caves Sohn in den Tod stürzte. Auch wenn Nick Cave sich in “One more Time with Feeling” dem Trauerprozess öffentlich stellt, bekamen die vielen Reviews im Kontext mit dem großen Verlust für mich einen fast voyeuristischen Anstrich. Ich hatte mir deshalb vorgenommen zu versuchen, die Platte unter rein musikalischen Gesichtspunkten zu rezensieren. Das hätte bei „Girl in Amber“ und dem majestätischen „Rings of Saturn“ noch funktioniert. Die Tracks klingen sehr nach einer Fortsetzung und Weiterentwicklung der Vorgängerplatte “Push the sky away”.
Spätestens aber beim brüchigen “I need you” kann man die Platte nicht mehr außerhalb des tragischen Kontexts hören. Obwohl es hier um die Beziehung zu einer Frau geht evoziert das Stück bei den Zeilen “ You’re still in me,baby. I need, In my heart, I need” ein ganz anderes Bild und bewirkt bei mir ehrlich gesagt einen einen Kloß im Hals. Die meisten Tracks wirken durchkomponiert aber gleichzeitig unfertig, grob behauen. Nick Cave Stimme, die normalerweise in den stillen Momenten am eindringlichsten rüberkommt, wirkt brüchig, manchmal sogar kraftlos. Skeleton Tree ist eine Platte, die einem in ihrer rissigen Schönheit sehr nachdenklich und betroffen zurücklässt.
Bon Iver – 22 a million
Als Justin Vernon mit „For Emma, Forever Ago“ sein erstes Album veröffentlichte, fand das noch unter den letzten Ausläufern des „Freak Folk“ seinen Platz. In der Zwischenzeit unterstützte er Kanye West bei seinen Studiobastelein und trat auch schon mal vom Musikbusiness komplett zurück. 22 a million ist in seinem Kern wieder eine Sammlung von 10 wunderschönen, einfühlsam, kuschligen Folksongs.
Die Platte stellt aber nicht den Soundtrack für Teerunden mit Steingutgeschirr und selbstgebackenem veganen Bananenkuchen. Bon Iver drehen ihre Songperlen durch den Elektrowolf, schreddern und zerhacken sie, jagen sie bei Bedarf durch die Autotune-Software und legen oben drauf noch eine dünne, glänzende Schicht Blattgold. Vernons Songwriting tackert die die Tracks am Ende wieder zusammen. Und dann sie sind wie „33 „God““ zum Hinknien schön. Funfact für Vinylnerds, „29# Strafford Apts“ eines der koventioneller klingenden Stücke ist an einigen Stellen so dezent fies übersteuert, dass ich bei der ersten Durchgängen immer von meinem Opasessel aufgestanden bin, um die Nadel zu reinigen. Gni Gni Gni Gni.
Hamilton Leithauser – I Had a Dream That You Were Mine
„Dies ist die Platte, die ich seit mindestens einer Dekade machen wollte. Als Fan von Hamiltons Stimme bei The Walkmen wollte ich sie festhalten, wie sie bisher nicht festgehalten wurde“, berichtet Rostam, musikalisches ex-Mastermind von Vampire Weekend, über die Inspiration zur Zusammenarbeit mit dem früheren The Walkmen-Sänger Hamilton Leithauser. „I Had a Dream That You Were Mine“ erinnert im Konzept an viele Pop-Entwürfe aus den mittleren 70ern. Ich denke da mal an “Band on the Run” von den Wings oder 10cc Platten. Diese Alben waren angelegt wie große Samstagabend-Shows, für die ganze Familie. Die Musik hatte abwechslungsreich zu sein, ein bischen Reggae, ein bischen Rock, zwischendurch eine Ballade. Vielfalt statt Trademark-Sound mit Wiedererkennungswert.
So ein Album ist auch „I Had a Dream That Your Were Mine“ . „In a Black Out“ hat ein tolles Leonard Cohen Intro. „1959“ verliert sich in 50er Jahren Doo Wop Harmonien. „You Ain’t That Young Kid“ klingt nach Bob Dylan in den mittleren 60ern. Die Musik wird bei aller Diversifikation immer durch Hamilton Leithausers Stimme zusammengehalten.Kollege Rostam greift bei der Produktion zwar auch zu analogen Synthesizern aus den 80er und Subbass, verkneift sich aber den rosa Zuckerguss. „I Had a Dream That Your Were Mine“ ist der ideale Begleiter für ein nettes Abendessen (laktosefreies Lupinenfilet) mit netten Freunden und klugen aber konfliktfreien (bloß nix über Politik) Gesprächsthemen.
Wilco – Schmilco
Wie sagte der weltgrößte weibliche Wilco-Fan den ich kenne kürzlich über die Platte “Seit Jeff Tweedy so blöde Wortspiele (Wilco Schmilco) macht und so fett geworden ist, finde ich ihn nicht mehr cool”. Dem Uncoolnes-Vorwurf widerspricht jedoch schonmal das Cover von Comik-Zeichner Joan Cornellà. Wer das immer noch blöder als die Cover der Vorgänger-Platten findet, den möchte ich auf das Kamel mit dem lustigen Hütchen von Wilco “Wilco” verweisen. Schmilco zeigt Jeff Tweedy, der auf seinen Platten ja auch gern seine Neurosen reflektiert, zumindest musikalisch von seiner lockeren Seite.
Zum Beispiel auf “If i ever was a child” einem der besten Wilco Songs ever, gibt er sich fast schon schunkelig, flockig einem Folk-Song hin. .I’ve never been alone/ Long enough to know/ If I ever was a child. auch wenn er sich inhaltlich damit beschäftigt, wie ein alternder Kindskopf auf sein Leben zurückzublickt. Aus der gleichen ambivalenten Küche kommt auch “Cry all day” And I cry, cry, cry,Cry all day, Cry all night/ At the open mic/ sing and starve/ I fall in a knife. Ein zerissenes Statement zu einer schmissigen Melodie. Schmilco ist eine Platte für den Indian Summer, dazu trägt man Wildlederboots und karierte Hemden. Und wenn diese das Bäuchlein ein wenig kaschieren, soll uns das gerade recht sein.
Angel Olsen – My Woman
“Shut up, Kiss me” ist zu 100% der richtige Titel für ein Liebeslied. Dazu kommt ein knalliger Popsound, der Angel Olsen endgültig aus dem Folksängerbranche katapultiert. Die Platte beginnt mit “Intern”, dem Song und dem Sound nach dem Lana del Rey seit ihrem ersten Hit hinterherhechelt. Ich hoffe doch sehr dass David Lynch “Intern” hört und Angel in das Twin Peaks Sequel einbaut. Vielleicht auf einer Party in der “Schwarzen Hütte”. “Never bei mine” verneigt sich vor Roy Orbison und den späten Fünfzigern.
Die zweite Hälfte der Platte wird ruhiger. Sister kling ein wenig nach Stevie Nicks und Fleetwood Mac in der „Mirage“-Periode, aber das soll keine Schande sein. Höhepunkt des entspannten Parts, der an ihre früheren Folk-Platten erinnert ist “My Woman” ein siebenminüter, in dem sie zwischen der Hingabe zu ihrer Liebe und ihrer eigenen Coolness oszilliert. You can leave now if you want to/ I’ll still be around/ This parade is almost over/ And I’m still your clown.“. My Woman ist bester Mädchenpop und eine geeignete Soundtapete zum SozPäd Studium. Das gilt zumindest solange bis das nächste Fleetwood Mac Album erscheint.
Preoccupations – Preoccupations
“Continental shelf” von Vietcong schaffte es 2015 in letzter Sekunde noch aufs “Plaste-Mixtape”, was aber das amerikanische Publikum nicht wirklich zu schätzen wusste. Der Bandname erinnerte die Fans jenseits der großen Teichs zu sehr an die ganz dunklen Stunden der USA. Musikalisch ist sich die Band nach dem Umtaufe jedoch treu geblieben. Ich will ihren Stil mal “Vintage Wave”nennen. Die komplette Reproduktion des Sounds und Gefühls einer musikalischen Epoche. Post-Punk, in Perfektion: tiefe dröhnende melodieführende Bässe, kristallklare Gitarrenfiguren eine schlingernde Drum-Maschine.
Oben drauf trohnt Matt Flegels rauhe tiefe Stimme, die wie ein Echo von Psychedelic Furs, Richard Butler klingt. “Preoccupations” ist ein breitbeiniger New Wave Klon, bei dem sich straighte treibende Tracks mit zackigen Refrains um den Nuclues der Platte das elfminütige “Memories” drängeln. Nach dem Anhören der Platte darf man gern mal zum Fotoalbum von 1983 im Kunstledereinband greifen und sich fragen ob die eigene Haarpracht noch eine Frozen-Explosion Frisur hergibt.
Nigeria Soul Fever – Sampler
In den 70ern wurde Nigeria von mehreren Militärputschen erschüttert, gleichzeitig avancierte das Land zum größten Erdölexporteurs Afrikas. Keine gute Melange für die Bewohner des Landes. Fela Kuti reflektierte mit seinem Landmarkalbum “Zombie” 1975 die Zustände und die Auswüchse des nigerianischen Militärs. Die Welt tanzte zu dieser Zeit den Discofox und die Discowelle beeinflußte auch nigerianische Musiker. Ein Exportverbot in dem Land sorgt leider dafür, dass keine der Musikproduktionen das Land verlassen durfte.
Dafür zahlten musikalische Trends aus London-News-Paris-Munich wie Disco, Soul und Boogie umso mehr in den Meltingpot ein. Vielleicht kennt der ein oder andere ja auch inzwischen Künstler wie Joni Haastrup, ähhh oder ehrlich gesagt eher nicht. Die meisten der Killertracks auf “Nigeria Soul Fever” haben auch in den letzten 40 Jahren die Grenze von Nigeria nicht verlassen. Aufregend ist die große Bandbreite der Songs aus den 70ern “Disco Dancing” von Angela Starr ist voller Chiqism und könnte auch als New Yorker Tom Moulten Produktion durchgehen. Ohne das Ausfuhrverbot dieser Musik und damalige Ingnoranz der Mainstreamdiscogänger gegenüber Musik aus Afrika hätten Tee Mac & Co. durchaus auf den Tanzflächen der Dorfdiscos eine gute Figur gemacht.
Die Platte ist vollgepackt mit sonst kaum erhältlichen und bezahlbaren Raritäten und brodelndem Afrofunk, -soul. Für mich zusammen mit der Strut-Compilation “Nigeria 70” eine der besten Afropop Zusammenstellungen.
Studio One Dub Fire Special
In der 13 Brentford Road auf Jamaica hatte Coxsone Dodd sein legendäres Studio One. Hervorgegangen aus den Soundsystems, die in den späten 50er um die neuesten US R’n’B Singles stritten und die ersten Dubplates produzierten. Zum legendären Vorsingen im Studio erschienen u.a. auch ein gewisser Peter Tosh und Bob Marley. Auf “Studio One Dub Fire Special” finden sich 18 Dub Tracks, die Meister Dod alias “The Dub Specialist” selbst am Mischpult zusammengeschraubt hat.
Die Stücke stammen von den in-house Bands wie The Sound Dimension oder den Brentford All-Stars – die Orginale sangen u.a. Jackie Mittoo und Cedric Brooks ein. Dodd hatte die Stücke entkernt und mit seinem “stripped down” Bass und Drum Sound geradegezogen. Die Tracks u.a. die Dub-Version von Norwegian Wood haben einen geschlossenen relaxten und inspirierten Flow. Es ist die Musik für einen recyclingpapiergrauen Herbst-Sonntag und die Zeit zwischen ausgiebigem Frühstück und dem nachmittäglichen Kinobesuch (romantische Komödie).
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