Heimat ist wichtig und zwar so wichtig, dass aus dem harmlosen Begriff ein Blähwort wurde, so groß, dass darin die komplette AfD plus Horst Seehofer Platz haben. Plaste betrachtet den Heimatentwurf vonverschiedenen Menschen und kommt zu einem Ergebnis, das nicht überrascht.
In meiner Phantasie
Wenn ich die Augen schließe erscheint vor meinem geistigen Auge eine Alm. Saftig, grünes Gras. Dickwadige fesche Burschen, die dickbusigen Mädels mit BDM-Zöpfen hinterhersteigen. Unter dem weißblauen Himmel stehen glückliche Kühe. Heidi rennt mit auf untertellergröße geweiteten Augen über die Wiese.
Die Heimat meiner Phantasie: Das Bundesland Bayern in dem ich zuletzt als Kind 1978 Urlaub gemacht habe. Die Menschen sind der japanischen Mangakultur nachempfunden um niedlicher zu wirken
Oma Hedwig
Mein Oma hatte unter dem Kissen ihres Küchenstuhls eine schmalen Stapel Broschüren liegen. Auf der einen sieht man die bekannte Aufnahme des DDR-Grenzsoldaten, der am Tag des Mauerbaus kurzerhand über die noch unfertige Berliner Mauer springt. Ansonsten waren immer wieder Menschen zu sehen, die anderen über Stacheldrahtverhaue zuwinken. Die Titelseite einer anderen Broschüre zeigte stilisierte Illustrationen von Menschen die auf einer Landkarte (wahrscheinlich Deutschland in den Grenzen von 1937) standen und sich über den Stacheldraht traurig anstarrten.
Die Heimat meiner Oma Hedwig: Ihre Heimat lag irgendwo jenseits von endlosen Stacheldrahtrollen. Sie war dabei nicht glücklich und sprach oft von den „Pullacken“, die ihr alles weggenommen hatten.
Oma Martha
Meine andere Oma hatte ein sonnigeres Gemüt. Sie schleppte den ganzen Tag eine zigarettenschachtelgroßes Taschenradio mit sich herum. Aus dem 0,01 Watt Lautsprecher drangen den ganzen Tag Polkarythmen in LoFi-Qualität. Sie nannte es „Blosmusike“. Manchmal hörten wir zusammen Musik und beim Wunschkonzert, kam regelmäßig der „Gefangenenchor von Nabuko“. Im Wohnzimmer hing eine Fotografie von Passau, dort war sie nach dem Krieg 10 Jahre in einem Flüchtlingslager (neudeutsch: Ankerzentrum) interniert.
Die Heimat meiner Oma Martha lag verborgen in einem Billig-Taschenradio mit Empfangsproblemen. Die Musik erinnerte sie an rauschende Polkafeste in Schlesien, Suff, Knutschereien und anderen Dinge, die nie für das Ohr ihres Enkels bestimmt waren.
Kollegin Ayshe
Meine Kollegin Ayshe (Name geändert) ist Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund. Sie ist gläubige Muslima, betet tagsüber, trägt Hijab und hält sich an den Ramadan. Wenn Sie in Instabul shoppen geht, wird sie für ihren Look belächelt. Erst wenn Sie anfängt deutsch zu sprechen kümmern sich die Verkäuferinnen in den türkischen Boutiquen um sie. Sie hat in Deutschland studiert und steht auf Erdogan.
Ayshes Heimat ist eine idealisierte moslemische Türkei, eine Disney-Version der Märchen aus 1001 Nacht. Regiert von einem Staatsschef unter dessen Druck sie als Deutsche nie leiden muss.
Die AfD
In der neuen Broschüre „Leitkultur, Identität und Patriotismus“ schwurbelt die AfD-Fraktion des Thüringer Landtags auf 72 Seiten auch zum Thema Heimat. Das ganze ist so verworren formuliert, dass der durchschnittliche AfD-Wähler wahrscheinlich nicht mal bis Seite drei kommt. Und ja, ich hab mir die pseudoseriösen Satzmonster auch nicht angetan. Interessent sind aber die Fotostrecken. Wir sehen Blondinen mit Bierhumpen. Eine Frau im Burka begleitet von einem böse dreinblickendem „Gefährder“. Und bezopfte junge Mädchen, die einer NSDAP-Fruchtbarkeitsfeier entsprugen sein könnten.
Für die AfD ist Heimat alles was nicht Nicht-Heimat ist. Nicht-Heimat sind alle Fremden, Menschen mit nichtchristlicher Religion, Hautfarbe oder auch Menschen, die schlicht anderer Meinung sind wie die AfD. Dabei werden Begrifflichkeiten aus der Folklore oder Interpretationen aus dem dritten Reich herangezogen um einen Konsens bei der Anhängerschaft zu bedienen. Heimat, ist also alles, wo man keine Anderen dabei haben möchte, um sich selbst ein bisschen erhabener zu fühlen.
Das ist meine Heimat
Der aufmerksame Leser hat schon gemerkt, dass meine Wurzeln in Schlesien (heute Polen) liegen. Die Schlesiertreffen meiner Kindheit habe ich jedoch in keiner guten Erinnerung. Ich kann mich nur erinnern, dass ich auf einem Stuhl stehen und irgendwas aufsagen musste. Wahrscheinlich die ersten beiden Strophen der Nationalhymne. Daneben stand immer ein kleiner, buckliger Mann mit ein Akkordeon. Ich selbst mag den Schwarzwald (als Natur) sowie die Black Forest Kunst von Artwood . Außerdem wissen Plaste-Leser, dass ich anglo-amerikanische Popkultur bevorzuge und alle vier Jahre zur WM mein Deutschland-Fähnchen auspacke.
Meine Heimat besteht aus einem idealisierten Schwarzwaldambiente + echter Natur, wobei ich die schlesischen Wurzeln meiner Vorfahren komplett ausblende. Außerdem bin ich Popkultur- und Fußballpatriot.
Was also ist nun Heimat?
Heimat ist ein bunter Gefühlsquark bestehend aus Orten, Erinnerungen, Träumen, Geschichten, Phantasien, Sehnsüchten und vor allem Menschen. Heimat ist vor allem ein individuelles Gefühl, sowenig definierbar wie guter Humor oder schlechter Sex.
Heimat ist vor allem ein individuelles Gefühl, sowenig definierbar wie guter Humor oder schlechter Sex.
Deshalb brauchen wir für Heimat sowenig ein Ministerium wie eines für schlechten Sex. Außer natürlich, man sucht nach einem Job für Alexander Dobrindt.
Die Heimatentwürfe der verschiedenen Personen sind echt und authentisch und nicht ausgedacht. Die Red.
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