Ich selbst bin ein Kind aus dem klassischen sozialdemokratischen Arbeitermilieu. Meine Eltern, deren Geschwister, Cousins, Cousinen etc waren alle Arbeiter. Bedingt durch die Flucht nach dem zweiten Weltkrieg hatten einige keinen oder höchstens einen notdürftigen Schulabschluss. Man wählte SPD, man war in der Gewerkschaft und schimpfte bei Bedarf kräftig auf Beide. Brandt, Bahr und die Ostverträge wurden kritisch beäugt, trotzdem entschieden sich 1972 45% der Wähler für Willy und die SPD.
Unsere Kinder sollen es mal besser haben
Als ich meinen Vater einmal fragte was „sozial“ eigentlich bedeutet, antwortetet er „Das ist, wenn alle Menschen gleich sind“. Das reichte mir als 10-jähriger völlig um meinen politischen Kompass nachhaltig zu stellen. Was ich damit sagen möchte: Der Erfolgsgeheimnis der Sozialdemokratie lag darin, ihren Wähler aus der Arbeiterschaft die Umsetzung ihrer Träume ermöglichen. Das war zum Einen „Was Eigenes“ zu haben. Ein Haus oder eine Eigentumswohnung zur Altersabsicherung und als Symbol der Unabhängigkeit. Zum anderen der soziale Aufstieg der Kinder durch den Zugang zur Bildung alias „unsere Kinder sollen es mal besser haben.“ Das hat in meiner Sippschaft übrigens durchgängig funktioniert.
Der Schröder ist an allem Schuld
Momentan liegt die SPD in Umfragen bei nur noch 13% der Wählerstimmen. Was ist passiert? Trotz dem Auftreten der Grünen, die zuerst die linken Jungwähler und später das linksliberale Bürgertum banden, lag die SPD 30 Jahre nach den Willy-Wahlen immer noch bei annähernd 40%. Sie stellte sogar den Kanzler. Und dem wollen wir jetzt mal gehörig alle Schuld in die Schuhe schieben. Nein Quatsch, der Kardinalfehler von Gerhard Schröder war nicht die Agenda 2010. Sondern den darauf folgenden „analogen“ Shitstorm nicht auszuhalten und in der Krise alles auf die Karte Neuwahlen zu setzen. Die strukturellen Änderungen der Agenda waren nötig. Nur hätte beim Anspringen der Konjunktur permanent nachgebessert und der erwirtschaftete Mehrwert gerecht verteilt werden müssen.
Die Merkel ist an allem Schuld
Statt dessen hat sich Angela Merkel artig bedankt. Die CDU den wirtschaftlichen Schub als Erfolg für sich reklamiert und die SPD als Juniorpartner in der Großen Koalition in den Schwitzkasten genommen. Diejenigen die von der stabilen Konjunktur profitierten, haben brav ihr Kreuz bei der CDU gemacht. Die anderen fanden sich infolge Schröders Agenda in einem perspektivlosen Niedriglohnsektor wieder. Der Mindestlohn, den Andrea Nahles durchgesetzt hat war ein richtiger Impuls. Er kam jedoch für Menschen in Pflegeberufen, Paketzusteller oder Angestellte bei „steuerbefreiten“ amerikanischen Konzernen zu spät. Hier hat sich ein neues Proletariat herausgebildet, dass keine Heimat mehr bei den Sozialdemokraten findet.
Starke Marke – Schwaches Produkt
Die gute Nachricht. Es besteht immer noch eine grundsätzliche Nachfrage nach einer Volkspartei namens SPD. Nur gibt es die halt grade nicht. Als im Frühjahr 2017 der Schultz-Zug anrollte schnellten die Umfragewerte auf 30%. Der Bedürfnis nach einer kernigen, sozialen Partei mit menschlichem Antlitz und angemessener bürgerlicher Spießigkeit (das ist nicht negativ gemeint) schien befriedigt. Leider nur für einige Wochen. Betriebswirtschaftlich würde man sagen, die Marke hat immer noch Strahlkraft, aber die Produkte sind zweitklassig.
Die Marke hat immer noch Strahlkraft aber die Produkte sind zweitklassig.
The Return of the incredible Sozialdemokraten
Wenn die Sozialdemokraten wieder in den Wahlkabinen relevant sein wollen, müssen sie ihre ehemalige Kernkompetenz zurückerobern. Visionen und Konzepte dafür entwickeln, wie eine globale soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert aussehen kann. Wie Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz gelebt werden können. Wie alle Mitglieder einer Gesellschaft für sich Perspektiven entwickeln können. Und sie müssen uns Wählern glaubhaft vermitteln, dass sie bereit sind das auch konsequent umzusetzen. Dies gern mit sozialdemokratischer Knorrigkeit, aber bitte ohne Selbstzerfleischung.
Das ist nicht einfach, aber die anbrechende Post-Merkel Ära mit einer ausgelaugten CDU bietet die eine günstige Gelegenheit hierfür. Es ist eine große Chance, allerdings auch die letzte.
P.S. Frage vom Leser: Warum meint Plaste, dass wir die SPD wieder lieben lernen sollten. Antwort vom Redakteur: Ich glaube, dass nur mit einer SPD als Zugpferd eine linksliberale Regierung etabliert werden kann. Diese ist nötig, da die konservative neoliberale Erfolgsstory mehr als auserzählt ist und für unsere Demokratie langsam gefährlich wird.
Der Beitrag Warum wir die SPD wieder lieben lernen sollten. erschien zuerst auf Plaste.